Das Bewegte Bild

Es gibt diesen einen Satz, den ich beim Fotografieren unzählige Male gesagt habe –
„Bitte jetzt nicht bewegen“
oder
„Bleib genau so.“

Und jedes Mal frage ich mich danach, warum ich ihn eigentlich ausgesprochen habe. Denn wenn der perfekte Moment da ist, dann ist er meist schon wieder vorbei, bevor ich es überhaupt bemerke. Die Zeit läuft schneller, als Worte hinterherkommen. Und spätestens mit dem Satz beginnt der Moment, sich aufzulösen. Was bleibt, ist ein leiser Nachhall und die Hoffnung, dass vielleicht doch noch ein Bild geblieben ist.

Ich habe lange versucht, diese flüchtigen Sekunden vorherzusehen. Sie gezielt herbeizuführen. Situationen zu schaffen, in denen etwas „Echtes“ entsteht – ein Gesichtsausdruck, der natürlich wirkt, ein Lächeln, das nicht gewollt wirkt. Aber je mehr ich versucht habe, Authentizität zu planen und herbeizuführen, desto künstlicher wurde sie. Denn Echtheit lässt sich nicht inszenieren. Und ein Moment, der so wirken soll, als wäre er zufällig, ist oft nur eine Handbreit von der Steifheit eines Passbildes entfernt.

Ich kenne viele Fotograf*innen, die mit dem Finger auf dem Auslöser bleiben – Dauerfeuer. Hunderte Bilder in Minuten machen. Später wird gesichtet, aussortiert, ausgewählt. Unter tausend Aufnahmen ist dann dann ein einziges Bild dabei, das „trifft“. Das ist legitim. Aber es fühlt sich für mich an wie Hochseefischen mit riesigen, kilometerlangen Netzen: Man fängt alles – und hofft, dass etwas Gutes dabei ist.

Ich dagegen gehe lieber angeln.

Ich möchte, dass sich die Person vor meiner Kamera wiedererkennt. Nicht im technischen Sinne, nicht in Schärfe und Symmetrie, sondern in dem Gefühl, das sie sieht, wenn sie das Bild anschaut. Ich möchte sagen können:
„Schau, das habe ich für dich gefischt. Nur für dich. Weil du in diesem Moment so warst.“

Nicht:
„Das war eben dabei. Ich hab’s rausgepickt.“

Ich will mehr als das. Ich will nicht nur einen Moment. Ich will das Dazwischen.

Dort, wo Bewegung ist. Wo etwas passiert. Wo sich das Gesicht verändert, die Schultern entspannen, die Augen wandern.

Also verlängere ich meine Verschlusszeit.
Von einem 1/250stel auf ein 1/125stel,
am Ende vielleicht auf ein 1/60stel.

Was dann entsteht, ist nicht immer gestochen scharf.
Aber es ist klar.
Nicht technisch, sondern emotional.
Verwackelt vielleicht – aber nicht unscharf.
Nicht im Fokus, aber im Bild.

Denn genau dort liegt das, was mich interessiert:
Du bewegst dich –
nach vorn, zurück,
du drehst dich, tanzt,
oder bleibst stehen.

Und ich halte nicht nur dich fest,
sondern auch das Vorher und das Danach.
Die Richtung, die Stimmung, das Zögern, das Aufblühen.

Während du schon gar nicht mehr im Moment bist, aber noch im Bild.

Das Bewegte Bild ist kein Versuch, die Zeit aufzuhalten – sondern ihr einen Rahmen zu geben, in dem sie weiter verweilen darf.

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